Vertrieben und obdachlos - Offener Brief einer empörten Mäusemutter

von Uta Robbe

Es geht um nicht weniger als das Lebensglück meiner Familie und der großen Gefahr, dieses bald zu verlieren. Mit meinem offenen Brief wende ich mich an Sie, lieber Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren des Freundeskreises Knechtsche Hallen und an alle tierlieben Elmshorner. Bitte helfen Sie uns!


Zuerst möchte ich mich vorstellen. Ich bin Hulda Maus, alleinerziehende Mutter einer vielköpfigen Kinderschar. Wir haben eine Wohnung im Erdgeschoss der Knechtschen Hallen bezogen und leben hier in der Ecke hinten links unter dem Stapel alter Zeitungen. Ich erziehe meine Kinder zu ordentlichen Mitgliedern unserer Gesellschaft, lehre sie, Menschen und Katzen in großem Bogen auszuweichen,
Speckfallen und Rattengift zu meiden und sich nicht an den Glasscherben von zerdepperten Bierflaschen vor unserer Haustür zu schneiden. Außerdem haben sie strengstes Verbot, in unsere Wohnung zu ködeln. Dank der Urban-Gardening-Idee am Kranhaus sind wir Selbstversorger und können jederzeit bequem wohnortnah
shoppen gehen. Das wissen wir zu schätzen, denn bekanntlich ist guter Wohnraum in Elmshorn schwer zu bekommen. Bislang lebten wir hier also „supernormal“, wie es auf neu-elmshornerisch heißt.
Doch nun ist alles anders. Seit einiger Zeit weht hier ein frischer Wind durch die Hallen an der Schloßstraße. Es zieht erbärmlich. Kürzlich haben Menschen – wohl getrieben vom unverständlichen Wunsch Ordnung zu schaffen - unseren Wohnungseingang mit einem Drahtbesen zerstört. Meine Jüngsten – Speedy und Gonzales – mussten hilflos zusehen, wie diese Vandalen ihren Spielplatz hinter der
Plastiktüte zusammenfegten und entsorgten. Doch es kam noch schlimmer.

Mittlerweile müssen wir an mehreren Abenden in der Woche mit uneingeladenen Menschen und infernalischem Musik-Lärm leben, der meinen Kindern den Nachtschlaf raubt und wahrscheinlich bald psychiatrische Behandlung erforderlich macht. Das geht so nicht weiter. Haben diese Leute denn noch nie von friedlicher Koexistenz zwischen Mensch und Tier und solidarischem Miteinander gehört?
Ich bin empört, schließlich haben auch Mäuse Anspruch auf ein zufriedenes Leben.
Unsere Familie lebt seit Mäusegedenken an den Gestaden der Krückau. Aus Erzählungen meiner Großmutter weiß ich, dass wir aus ruhmreichem Geschlecht stammen. So reisten Urahnin Minna und ihr Mann Mickie Maus bereits vor Generationen auf der Flora bis in die Neue Welt und gründeten dort ein Imperium, das ihrer Familie seitdem ein luxuriöses Leben in den schönsten Nobelschuppen der Welt erlaubt. Wir sind mit unserem Schuppen, pardon, den Knechtschen Hallen, aber auch zufrieden, wenn man denn künftig unsere Wohnbedürfnisse respektiert und nicht das Unterste nach oben umkrempelt.
Mein Vorschlag: Lassen Sie uns doch einfach in Ruhe weiterleben und das Gebäude friedlich vergammeln. Es könnte nicht nur uns Mäusen, sondern auch Spinnen, Ratten, Schwalben und anderen schützenswerten Minderheiten Obdach bieten.
Können Sie wirklich wollen, dass wir als Heimatvertriebene  öffentlichkeitswirksam Kirchenasyl fordern, wie es meine Cousine Bertha, die Museumsmaus, vorschlägt?
Und die hat viel Erfahrung mit Publicity. Wahrscheinlich hat sie recht, denn den kollektiven Aufschrei der Gottesdienstbesucher, wenn meine Kinder mit angeknabberten Oblaten zwischen den Bankreihen spielen, kann ich mir lebhaft vorstellen. Wenn Sie es also nicht anders wollen…

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