Der Mann mit der Lampe

von Frank Jativa

ch bin Sprayer. Ich liebe es, wenn unter meinen Händen Kunstwerke entstehen, die unsere stellenweise so graue Stadt bunt machen. Aber dazu braucht man viel Übung, deshalb schlich ich mich einmal nachts in die Knechtschen Hallen, da gibt es ja genug Wände zum Üben.
Also Farben auspacken, Eminem ins Ohr und los ging es.
Ich war gerade mit dem Rahmen meines Pieces fertig, als ich das Licht bemerkte. Die Bullen? Das wäre nicht so schön, einmal hatten die mich schon am Wickel und zeigten bemerkenswert wenig Kunstverständnis. Ich schaltete den Player und meine Lampe aus und wartete.
Und dann sah ich ihn. Der Mann trug einen Blaumann, hatte eine Kappe auf dem Kopf und in seiner Hand trug er eine alte Öllampe. Er war auffällig bleich, und obwohl in der Lampe eine helle Flamme zu sehen war, gab sie wenig Licht. Er blickte mich direkt an. In
seinem Gesicht war ein altmodischer Schnurrbart in Überbreite erkennbar und er schien zu sprechen, aber es war kein Wort zu hören. Überhaupt war es totenstill, als würde seine Gegenwart jedes Geräusch absorbieren.
Ein Geist. Es konnte nicht anders sein. Komischerweise hatte ich bei dieser Erkenntnis keine Angst, was vielleicht mit den beiden Bieren kurz vorher zu tun hatte. Sollte ich fliehen? Oder würde er mich einfach nicht beachten? Noch während ich überlegte, kam er auf mich zu. Er ging an mir vorbei, hob die Lampe und deutete auf eine bestimmte Stelle im bröckelnden Mauerwerk.
Dabei blickte er mir direkt in die Augen. Es schien so, als würde er etwas von mir erwarten. Ich ging also zu ihm und folgte seiner Hand. Ein Ziegelstein ragte ein klein wenig hervor. Ich rüttelte daran und merkte, dass er locker war. Ich zog ihn heraus. Dabei
fiel eine kleine Metallkassette herunter, die beim Aufschlagen auf dem Boden zerbrach und ihren Inhalt preisgab. Geldscheine. Eine ganze Handvoll. Ich bückte mich und sah sie mir an. Fünfundzwanzig Hunderter. Ein Vermögen. Aber leider in Reichsmark. „Für mich?“, fragte ich den Geist. Heftig schüttelte er seinen Kopf, dann zeigte er auf seinen Ehering. Ich sollte das Geld wohl seiner Frau geben. Er sah mich mahnend an, dann fing er an zu verblassen und einen Augenblick später stand ich allein im Dunkeln.
Und ich hatte ein Problem.

Ich ging nach Hause. Sowas erlebt man ja nicht jede Nacht. Und ich hätte das Ganze bestimmt als Halluzination durch fiese Lösungsmittel in den Farbdosen abgetan, wenn nicht das Geldbündel am nächsten Morgen immer noch auf dem Tisch gelegen hätte. Tja, wenn das alles echt war, dann hatte ich eine Aufgabe, denn immerhin erwartete der Geist von mir, dass ich seinen Schatz weitergab. Schatz? Ein kurzer Blick ins Internet zeigte, dass die abgenutzten alten Scheine nicht einmal Sammlerwert hatten. Eigentlich war es den Aufwand nicht wert, aber versprochen ist versprochen.
Also suchte ich und wurde fündig. Im Stadtarchiv gab es ein altes Foto, auf dem ich meinen Geist wiedererkannte. Plötzlich bekam er einen Namen: Heinrich Lohmüller. Er war als Ingenieur an den Dampfmaschinen der Knechtschen Lederfabrik beschäftigt
gewesen. Jetzt wurde es einfacher. In einem alten Zeitungsausschnitt, den ich im Archiv der Elmshorner Nachrichten fand, wurde berichtet, dass er bei einem Unglück in der Lederwarenfabrik 1929 umgekommen war. Er war in eine der Gerbgruben gefallen und
dort ertrunken und hinterließ eine Frau und einen kleinen Sohn. Es war zu lesen, dass die Familie nach Amerika auswandern wollte und Heinrich dafür jeden Pfennig gespart hatte.
Seine Frau hatte jedoch keine Ahnung, wo er das Geld versteckt hatte, so dass die Familie in sehr bescheidenen Verhältnissen zurückblieb. Wie sehr hätte sie das Geld damals gebraucht.
Seine Frau war inzwischen längst gestorben, aber den Sohn machte ich ausfindig. Er bewohnte ein kleines, altes Einfamilienhaus am Stadtrand. Als ich endlich davor stand, kam mir die ganze Situation doch etwas seltsam vor. Sollte ich klingeln? Und was dann?
„Hier haben Sie einen Haufen Geld, das nichts mehr wert ist. Der Geist ihres Vaters wollte, dass Sie es bekommen. Ich habe ihn beim illegalen Sprayen zufällig getroffen....“
Egal, wie ich die Wahrheit in meinem Kopf auch verbog, es wollte keine glaubwürdige Geschichte daraus werden, deshalb steckte ich das Geld einfach in den Briefkasten. Also, Herr (sage ich nicht), jetzt wissen Sie, warum Sie eines Morgens lauter alte Hunderter im Briefkasten hatten.
Ich habe den Geist nur noch einmal gesehen. Als ich mit dem Fahrrad nachts an den Hallen vorbeifuhr, stand er mit seiner Lampe hinter einer der zerborstenen Scheiben und winkte. Und er lächelte.

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